Vespa gegen BMW

 

Auch das gibt es!

 

Auf meinem Moped bin ich auf meiner täglichen Erkundungstour auf dem Heimweg und fahre durch Oberschleißheim. Vor mir fährt eine gelbe Vespa, gefahren von einem Fahrer, der sich mit einem gelben Stirnband gegen die Temperaturen, um die fünf Grad über plus, unter dem orangefarbenen Sturzhelm schützt. Seine Vespa ist sehr schön restauriert, ohne Kratzer, wie neu. Er fährt an der rechten hinteren Ecke seines Vorderautos in einem Abstand von ca. zwanzig Zentimetern zur Stoßstange. Er schlenkert leicht rechts versetzt zum rechten Fahrbahnrand hin und her, also sauber im toten Winkel. Und wenn jetzt der Fahrer des Autos kurz das Gas wegnimmt, so hat der tote Winkel seinen Namen zu recht. Und das, mit dem -keine Kratzer an der Vespa- ist Vergangenheit.

 

Interessiert folge ich diesem Negativbeispiel der Teilnahme an der Führerscheinausbildung. Der Abstand vergrößert sich kurzfristig, was aber nur daran liegt, dass der fließende Verkehr schneller als 45 km/h fährt und somit die Höchstgeschwindigkeit der Vespa überschritten ist. Die Autoschlange wird wieder langsamer, da die Ampel an der Kreuzung am Bahnhof gerade auf Rot gesprungen ist. Mit rhythmischen Bewegungen des Kopfes nimmt der Vespa Fahrer wieder seinen Abstand ein bis er zum Stehen kommt.

 

Ich halte neben ihm und öffne mein Visier. „Hallo Kollege, meinst du nicht, dass zwanzig Zentimeter zu wenig Abstand sind?“

 

Er schaut zu mir herüber und ich sehe die Verkabelung seiner Ohren, die unter den Warmhaltern herauskommt und im Anorak verschwindet. „Wie, zwanzig Zentimeter nach rechts ist doch ausreichend, oder?“

 

Will der mich verarschen, denke ich und rufe zu ihm hinüber: „Nee, nach vorne natürlich! Oder hast du heute mit Schumi gefrühstückt, dass du so eine gute Reaktion hast, dass du sofort anhalten kannst, wenn dein Vordermann das Gas wegnimmt?“

 

„Wie, was ist los?“ Verständnislosigkeit schlägt mir entgegen. „Bei der Geschwindigkeit passiert doch nichts.“

 

Da platzt mir der Kragen bei so viel Dummheit. „Ist schon klar! Ist bloß gut, dass du nur so ein langsames Fahrzeug fahren darfst. Hoffentlich bleibt deine Vespa noch lange in dem guten Zustand.“ Ich schließe mein Visier und folge ihm, da die Ampel den Weg wieder freigibt. Unbeeindruckt stellt er den für ihn ausreichenden Abstand wieder ein. Nach dem Ortsende überhole ich ihn, da Geschwindigkeiten von 60 erlaubt sind und er somit nicht mehr folgen kann. Aber ich beobachte ihn in meinem Rückspiegel. An der ersten Kreuzung in Unterschleißheim muss ich kurz warten, bis die Rechtsabbieger grün bekommen. Im Spiegel sehe ich, dass er mit folgt. Aha, ein Unterschleißheimer. Na gut, man kann sich die Mitbewohner ja nicht aussuchen! Ich biege sodann nach rechts ab, um zu meiner Garage zu kommen. Er folgt. Na, das ist aber ein Zufall, er wohnt in der gleichen Siedlung. Als er kurz vor der Einfahrt in meine Garage immer noch folgt, fahre ich an der Einfahrt vorbei. So viel Zufälle kann es doch gar nicht geben. Ich will wissen, wo er abbiegt oder anhält. Dann holt er aber in der 30er Zone nochmal alles aus seiner Vespa heraus, fährt neben mich und brüllt zu mir herüber: „Halt an! Bleib stehen!“

 

Ich fahre also rechts ran, bleibe stehen und öffne wieder mein Visier. „Ja, wie kann ich dir helfen?“

 

Da erreicht mich schon sein Wortschwall: „Erstens verbiete ich Ihnen, mich zu duzen. Zweitens, was fällt Ihnen ein, mich an der Ampel so anzumachen. Mir reichts heute. Vorhin hat mich in München drin auch schon ein Autofahrer angeschissen.“

 

„Vermutlich nicht zu Unrecht!“ falle ich ihm lächelnd ins Wort.

 

Er weiter in seiner Rage: „Da freut man sich, dass man bei dem schönen Wetter die Vespa rausholen und ein bisschen durch die Gegend fahren kann, dann wird man von allen Seiten angemacht. Das mit dem Abstand, das sehe ich ja ein, aber muss man mich denn deshalb gleich so anmachen?“

 

„Jetzt mal ganz langsam, junger Mann!“ Ich versuche, ihn zu beruhigen. „Ich war früher mal Führerscheinprüfer und wollte Sie ja nur darauf hinweisen, wie gefährlich Ihre Fahrweise bei dem kurzen Abstand ist. Wenn Ihr Vordermann das Gas wegnimmt, sitzen Sie auf seiner Stoßstange. Habe ich alles schon erlebt, auch bei der Prüfung.“

 

„Ja, das sehe ich ja alles ein. Du hast ja recht. Aber mir hat es dermaßen gestunken, dass ich schon wieder angeschissen wurde. Und das wollte ich jetzt loswerden. Übrigens, eine geile Maschine haste da!“ Anerkennend mustert er mein Transportgerät.

 

„Lenk nicht ab, äh, Sie brauchen sich nicht einschleimen, wir waren noch beim Abstand!“

 

„Jaja, ist mir schon klar. Ich werde drauf achten, versprochen. Aber wenn du halt nur 45 fahren kannst, hast du halt in der Stadt auch die Arschkarte gezogen. Ich wünsch dir noch einen schönen Tag!“ Er grinst, ballt die rechte Hand in seinem Fäustling zur Faust und hält sie mir hin.

 

Ich lächle zurück. „Wünsche ich dir auch!“ und stoße mit meiner rechten Faust gegen seine. Dann umgreift er seinen Gasdrehgriff und dampft ab. Dabei hebt er die linke Hand und winkt mir zu. Da hat sich aber einer seinen Frust von der Leber geredet. Ich brauche noch etwa zwei Zehntelsekunden, dann habe ich alles verdaut und kann, leicht kopfschüttelnd und gut gelaunt in meine Garage fahren.