Der behütete Prinz

In einem fernen Land wollte der seit langem verwitwete König in seinem fortgeschrittenen Alter nochmal heiraten, denn die ehemalige Königin konnte ihm keine Kinder schenken. Es hieß, sie sei verflucht gewesen. So wählte er eine Prinzessin aus einem befreundeten Königshaus aus und hielt um ihre Hand an. Sie war auch nicht mehr die jüngste und auch nichtunbedingt die hübscheste, aber sie hatte Gefallen am König gefunden, denn er war sehr warmherzig und hatte ein offenes Ohr für sein Volk und dessen Nöte. In einer angemessenen Feier wurde die Trauung vollzogen und die Gäste übergaben ihre Geschenke, bevor sie sich alle an der reich gedeckten Tafel niederließen. Die Stimmung war gut und die Darbietungen der Minnesänger und Akrobaten wurden mit viel Applaus bedacht.

 

Aber dann plötzlich, kurz bevor der König die Tafel aufheben wollte, wurde die Eingangstür mit einer Wucht aufgeschlagen, dass der ganze Saal erbebte. In der Tür konnte man die dunkle Silhouette eines Mannes nur erahnen. Er war schwarz gekleidet und trug einen wallenden Umhang. In seiner linken Hand hielt er einen überlangen Wanderstab, an dessen Spitze sich ein großer Edelstein befand, der die Lichter im Saal auffing und als Sternenhimmel an die Wände zurückwarf.

 

Mit einem Schlag war es mucksmäuschen still im Saal und alle starrten gebannt auf die Gestalt mit den langen weißen Haaren. Die Wachen sprangen auf, ergriffen ihre Waffen und stellten sich ich ihm in den Weg.

 

Seine donnernde Stimme ließ den Saal erbeben: „Georg, Du hast dir damals dieses Königreich erschlichen, obwohl ich der ältere war. Unser Vater hatte immer dich mehr lieb als mich. Er hat mich in die Ferne geschickt und dort sollte ich dafür kämpfen, dass unser Land bestehen bleibt. Er hat gehofft, dass ich dabei umkomme, damit er dir das Reich übergeben konnte. Aber das ist heute vorbei.“

 

Der König stand auf und hielt seine Wachen zurück, als er seinen Bruder erkannte und sprach zu ihm: „Nein, Gerald, das stimmt so nicht! Da du der draufgängerische Raufbold und Kämpfer warst, solltest du die Abwehr der Feinde übernehmen. Vater hat immer darauf gehofft, dass du zurückkommst und er hat bis zu seinem Tod gewartet, bis er mir das Reich übergab. Da er aber keinerlei Nachricht von dir erhielt, musste er davon ausgehen, dass du umgekommen warst. Er hat immer wieder Boten ausgesandt, die nach dir forschen sollten, aber die sind stets ohne Ergebnis zurückgekommen.“

 

„Das mag sein,“ entgegnete Gerald, „denn ich wurde durch einen bösen Zauberer gefangen gehalten. Er hat dafür gesorgt, dass die Herrscher der Länder keine männlichen Nachkommen bekommen konnten und so sind durch seine Intrigen diese Reiche alle an ihn gefallen. Du bist das letzte Land. Ich war mir sicher, dass du auch keine Nachkommen mehr haben wirst. Ich brauchte also nur zu warten. Aber da du wieder eine Frau genommen hast, wird dein Nachkomme ebenso früh versterben. Ich werde in zwei Jahren wiederkommen und mein Reich fordern. Denn dann gehört alles mir, da ich den alten Zauberer überlisten konnte. Leider konnte ich ihn nicht dazu bewegen, den Fluch zurückzunehmen, dass die Übernahme der Länder ohne Blutvergießen und Krieg vonstattengehen muss. Ansonsten würden sich alle gegen ihn, und somit jetzt gegen mich stellen. Dann bis in zwei Jahren, LIEBER Bruder!“ Mit einem hämischen Gelächter drehte er sich um und bevor ihn die Wachen greifen konnten, war er im Dunklen verschwunden.

 

König Georg wandte sich an seine Gattin, die immer noch starr vor Schreck neben ihm saß: „Welches Leid muss der alte Zauberer wohl über unsere Nachbarn gebracht haben, nur um sich zu bereichern. Und sein Schüler, in Gestalt meines Bruders, führt auch noch sein Tun fort.“ Kopfschüttelnd ließ er sich neben seiner Frau auf den Thron fallen und nahm zärtlich ihre Hand. Was sollten sie nur machen.

 

Die Zeit ging ins Land und viele vergaßen den Auftritt des Bruders des Königs. Und siehe da, kaum ein Jahr nach der Vermählung wurde ein kleiner Prinz geboren. Das ganze Reich jubelte und wünschte den Dreien alles Glück der Welt. Die Adligen und Fürsten im Reich brachten zur Taufe des Thronfolgers viele Geschenke und legten sie vor der Königin nieder. Als alle bereits wieder fort waren, kam noch eine alte Frau und schenkte dem Neugeborenen einen wunderschönen Plüschteddy, der beinahe so groß die der Prinz selbst war.

„Möge das Glück Dir immer hold sein, kleiner Prinz!“ Mit diesen Worten verabschiedete sich die alte Frau und verließ den Saal, gestützt auf ihrem kunstvoll verzierten Stock.

Nachdenklich sah ihr die Königin hinterher. „Kanntest Du diese seltsame Frau, mein lieber Gatte?“

„Nein, meine Liebe. Aber ich werde sie durch die Wache anhalten und befragen lassen.“ Er hob die rechte Hand, sah zum Hauptmann seiner Garde und deutete in Richtung Tür. Der Vorgesetze der Leibwache verstand sofort und machte sich geschwinden Schrittes mit zwei Posten an die Verfolgung. Kurze Zeit danach trat er mit sorgenvoller Miene vor das Königspaar: „Eure Hoheit, es tut mir leid, aber wir konnten die alte Frau nicht mehr finden. Es ist, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Wir fanden nur diesen Brief hier, der auf den Fliesen im Vorraum lag.“ Er übergab das Stück Papier an den König.

Der nahm es, brach das Siegel und las laut vor: „Sorgt dafür, dass Bruno, so heißt der Teddy, immer in der Nähe des Prinzen ist. Er wird sich somit immer an ihm erfreuen können und es wird ihm nichts geschehen!“

Im Innern dachte der König schon mit Furcht an die ungewisse Zukunft seines Sohnes, wenn sein Bruder in Kürze hier eintreffen wird. Deshalb sprach er zu seiner Frau: „Vielleicht können wir der Alten trauen, sie hatte so etwas Mystisches und Edles an sich, dass wir ihren Wunsch erfüllen sollten.“ Sie nickte sehr nachdenklich. Und wie recht sie damit hatten, sollte sich noch zeigen.

Eines Tages, der Prinz lag alleine in seinem Zimmer und das Fenster stand offen. So konnte ein großer Rabe ungehindert und, von der Wache vor der Tür unbemerkt, hineinfliegen und auf dem Fußteil des Himmelbettchens landen. Er trug ein Fläschchen in seinem Schnabel. Er hüpfte auf den Kopf des Prinzen zu und wollte gerade die Flüssigkeit in dessen Mund gießen, als er plötzlich einen harten Schlag an den Kopf bekam. Er flog aus dem Bett und stieß noch einen lauten Krächzer aus, bevor er tot auf dem Boden landete.

Die Wache riss die Tür auf und schon stürmte die Amme ins Zimmer. Sie sah, dass ihrem Schützling nichts passiert war und befahl der Wache, den Raben zu fassen. Sie nahm den Prinzen auf den Arm und eilte mit ihm zusammen sofort zur Königin.

Diese hörte sich verwundert die Geschichte an, ließ nach ihrem Gatten schicken, während die beiden miteinander zurück ins Schlafgemach des Prinzen gingen.

Der König traf kurz darauf ganz aufgeregt zusammen mit seinem Medicus ein. Nachdem der Gelehrte nichts Ungewöhnliches am Prinzen feststellen konnte und ihn als völlig gesund attestierte, nahm er sich den Raben und das Fläschchen vor. Er öffnete den Korken und roch vorsichtig an der Öffnung. Schnell drückte er den Korken wieder fest hinein und meldete dem König: „Eure Majestät, in diesem Flacon befindet sich ein langsam wirkendes Gift, das einen Menschen über mehrere Tage hinweg unmerklich töten soll. Somit kann nachher keine Ursache mehr über den Tod gefunden werden. Sehr heimtückisch, wenn ich das bemerken darf.“

Der König blickte seine Frau sehr betrübt an und sie nickte ihm wissend zu, so dass er wusste, dass sie genau das Gleiche dachte wie er. Sie kannten den Ursprung.

„Seht, Herr! Das ist aber ungewöhnlich.“ Der Medicus war gerade mit der Untersuchung des Raben beschäftigt. „Dem Vogel fehlen hier einige Federn, die ich im Bettchen gefunden habe.“

Das Königspaar und alle Anwesenden konnten sich keinen Reim darauf machen. Sollte der kleine Prinz sich gewehrt haben? Sehr unwahrscheinlich. Da keiner einen Rat wusste, gab der König die Anweisung, dass der Rabe zu verbrennen und das Gift zu vernichten sei.

Als aber in den folgenden Wochen, trotz aller Wachsamkeit, eine tote Ratte mit gebrochenem Genick und eine völlig zerquetschte Kröte neben dem Bett des kleinen Prinzen gefunden wurden, waren alle am Königshof sehr bestürzt. Die Viecher trugen präparierte kleine Gefäße mit sich, die alle das gleiche Gift enthielten.

Dann kam der zweite Jahrestag der Geburt des Prinzen, der seinen Teddy nie aus den Armen ließ.

Spät am Abend wurde die Tür zur Halle aufgestoßen und der Bruder des Königs trat hinein. „So, heute komme ich persönlich, um meinen Preis zu holen, damit ihr meinen Plan nicht zerstören könnt. Ich weiß zwar nicht, wie ihr es geschafft habt, meinem Zauber zu entgehen, aber heute ist Schluss damit. Ich hole euren Sohn ab und er wird bei mir wohnen, bis du, mein Bruder abgedankt hast.“ Damit bewegte er sich schnell auf den Prinzen zu und wollte ihn greifen. Die dazueilenden Wachmänner hatten keine Möglichkeit, einzugreifen.

Voller Verwunderung wurden sie aber gewahr, dass die Hand des Bruders ins Leere griff, er durch die Luft wirbelte und dabei seinen Stab verlor. Danach landete er auf dem Rücken und blieb völlig benommen liegen. Nun konnte ihn die Wache binden. Seine Macht war ohne den Stab wirkungslos. Aus den Augenwinkeln sah der König gerade noch, wie sich der Teddy wieder in die Arme seines Sohnes schmiegte.

Der Zauberer wurde ins Gefängnis geworfen und abgeurteilt. Er musste den umgebenden Königsreichen ihre Souveränität wiedergeben. Herrscher wurden von ihren Völkern gewählt und es herrschte langer Friede unter ihnen. 

Als der Prinz groß genug war, um das Erbe seines Vaters anzutreten, erschien eines Tages jene alte Frau am Hofe, die damals den Plüschteddy geschenkt hatte. Der König und die Königin begrüßten sie freudig und dankten ihr. Gleichzeitig baten sie die vornehme alte Dame, ihnen doch zu erklären, wie es sein konnte, dass dem Prinzen nichts geschehen war.

Die alte Frau gab sich als die Schwester des Zauberers zu erkennen. Sie war mit den Machenschaften ihres eigenen Bruders niemals einverstanden, konnte aber gegen ihn nicht viel ausrichten. Als er aber durch den Bruder des Königs überlistet und getötet worden war, konnte sie den Fluch zwar nicht abwenden, aber sie konnte heimlich dafür sorgen, dass das Geschick leicht geändert werden sollte. So hat sie den Plüschteddy als Beschützer für den letzten Prinzen aller Reiche erschaffen, der mit der Volljährigkeit des Erben auch seine Macht verlieren wird.