Wallensteins Keller

Bei einem Besuch der Hansestadt Stralsund verschlug es uns in Wallensteins Keller. Eine urige Kneipe im Souterrain mit der Vorgabe, mittelalterlich wirken zu wollen, wie halt einst zu Wallensteins Zeiten, als dieser versuchte, sich die Hansestadt unter den Nagel reißen. So mittelalterliche Gelage haben wir ja nun schon häufiger mitgemacht und waren auf die Abläufe gespannt.

Es empfing unsere Gruppe ein zwei Zentner Koloss im vermeintlich traditionellen Gewand der damaligen Zeit: Schwarze unförmige Schuhe, schlaff sitzende Socken, eine schwarze Pumphose, brauner Kittel und speckige Lederschürze.

Er führte uns zu den Tischen. „Hier die beiden Tafeln sind für euch gerichtet. Setzt euch nieder und harret der Dinge.“

Wir suchten uns jeder einen Platz und ließen uns nieder. Da kam vom Wirt in harschem lauten Befehlston: „Wer war noch nicht hier, der hebet die rechte Hand empor!“ Verdutzt meldenden wir uns alle. „Nun gut, dann werde ich euch in das Gehabe einweihen. Es sind drei Punkte zu beherzigen. Erstens haben die Weibsleut den Männern jeden Wunsch zu erfüllen. Drittens sollen sie ihm die Hände waschen und das Trockentuch reichen. Ach so, zweitens sollen sie Brote schmieren und diese dem Mann reichen. Dies geht so lange, bis die Tafel aufgehoben wird. Hat jemand Fragen?“ Streng blickt er in die Runde. „Noch etwas. Viertens, nehmt eure Weiber am Ende wieder mit nach Hause.“

Allgemeines halblautes, teils gezwungenes Lachen folgte seinen herrischen Worten. Wir sahen uns noch amüsiert gegenseitig an. Dann verschwand der Koloss in der Küche und kam alsbald mit einer Eisenschüssel und einem Tuch über dem Arm an, stellte die Schüssel mitten auf den Tisch und legte das Handtuch daneben. Die Schüssel war mit warmen Seifenwasser gefüllt, das penetrant nach Schmierseife roch.

„Bevor das Mahl beginnt, soll jeder seine Finger reinigen, um dann herzhaft zulangen zu können. Die Weiber trocknen dann die Hände der Mannsleut ab, denket daran!“ Dann wandte er sich mit der nächsten Schüssel, die ihm eine Magd brachte, unserem Nachbartisch zu. Noch war die Stimmung gut und erwartungsfroh.

Nachdem alle die Finger sauber hatten, wurden die Schüsseln entfernt und gegen Brot und Kräuterquark ausgetauscht. Als ich nach meinem Messer griff und ein Brot schmieren wollte, wurde ich sofort reglementiert, und zwar in einem Ton, den ich so nicht akzeptieren konnte, da ich es bisher gewohnt war, zu kommandieren, und zwar Kompanien und Ehrenformationen im Bataillonsrahmen, so zwischen 180 und 450 Mann. „Du sollst das der Frau machen lassen! Oder hat das dein Weib nicht verstanden?“ wurde ich also mit lauter Stimme angemacht, so dass es das ganze Lokal hören konnte. Mehrere im Raum lachten deshalb vor Schadenfreude los.

„Werter Wirt,“, entgegnete ich ihm, noch gefasst, „ich weiß, was ich tue. Nun hebt euch hinweg.“ Er stutzte kurz und entschwand, um die restlichen Tische zu versorgen. Im Laufe dieses Vorgangs wurden noch manch andere Weibsleut an ihre Pflichten lautstark erinnert. Dabei wurde die Wortwahl des Wirtes reichlich frauenfeindlich und anzüglich. Das missfiel nicht nur mir, was ich an den Gesichtern der Gescholtenen leicht erkennen konnte. Die Vorlegeteller wurden abgetragen, nachdem Quark und Brot verzehrt waren und das Messer als einziges Besteckteil blieb am Platz.

Es wurde der Hauptgang serviert. Ich hatte Ente mit Blaukraut und Klößen bestellt. Da das Essen frisch aus der Küche kam, waren Ente, Kloß und Kraut noch recht heiß, sodass eine Gabel zur Verpflegungseinnahme recht vorteilhaft gewesen wäre. So fragte ich den Wirt: „Könntet ihr mir eine Gabel reichen, damit ich mir die Finger nicht verbrenne?“

„Nein, Gabeln gibt es nicht bei mir!“ kam sofort in einer schon bekannten unversöhnlichen Art. „Könnt ihr nicht mit Fingern essen, dann müsst ihr halt so lange hungrig bleiben, bis ihr es anfassen könnt.“

Diese Aussage ließ mein Blut nun doch etwas in Wallung geraten. „Wenn ich mein Essen nicht warm genießen kann und ich keine Gabel bekomme, dann nehmt euren Fraß wieder mit. Und,“, fügte ich noch laut und patzig hinzu, „euer Lokal wird mich nie wieder sehen!“ Ich fasste meinen Teller und reichte ihm das Gericht hin. Nun zuckte der Herr Wirt doch etwas zusammen.

Von links und rechts am Tisch kamen dann beruhigende Worte, wir hätten doch schon andere Ritteressen durchgemacht und mit den Fingern gegessen. Ja, schon, aber da gab es auch Lebensmittel, die man mit den Fingern essen konnte und kein Blaukraut und keine Knödel. Also stellte ich den Teller wieder vor mich und begann den Kloß mit dem Messer zu zerteilen. Er rollte natürlich weg, dieser Feigling, aber ich klemmte ihn zwischen Blaukraut und Ente ein. Dann ging es, ich wälzte ihn in der Soße, um ihn dann aufgespießt zu mir nehmen zu können. Mit dem Geflügel musste ich noch warten, da meine Sensoren in den Fingerkuppen vor einem sofortigen Verzehr warnten.

Nun stand der Wirtskomiker hinter mir und hielt einen Teller mit einem Pfannkuchen über meinem Kopf. Ich wollte danach greifen, aber schon kam die laute, anmaßende Ansage. „Finger weg, die Weibsleut geben die Speisen weiter!“

Völlig baff griff meine Frau danach und wollte den Teller vor sich auf ihrem Platz abstellen, da es schließlich ihre Bestellung war. „Reicht es der jungen Frau gegenüber weiter!“, war die laute herablassende Kommando. Völlig perplex ob dieser Anrede gab meine Frau den Teller an ihre Tischnachbarin weiter.

Da platzte mir der Kragen. Ich drehte mich langsam zum Koloss um. „Wenn ihr meine Angetraute noch einmal in diesem Ton anfahrt, sehen wir uns draußen zu einer Aussprache. Und wenn ihr euren Ton uns edlen Herrschaften gegenüber nicht so gestaltet, dass wir einen angenehmen Abend verbringen können, habt ihr sechs weitere Mannsleute gegen euch. Normalerweise übt sich ein Wirt in geselligem Ton den Gästen gegenüber, denn er will ja, dass sie wiederkommen. Oder simuliert ihr den Ton, als ob ihr euch in Wallensteins Lager befändet, dann wäret ihr längst gemeuchelt. Also überlegt es euch. Jetzt könnt ihr von hinnen eilen.“ Ich drehte mich wieder zu meinem Teller hin und begann das Federvieh mit Fingern und dem Messer zu bearbeiten. Der Wirt trollte sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und entfernte sich in Richtung Küche, mit hochrotem Kopf. Die restlichen Speisen wurden uns von Mägden gereicht, die uns mit höflichem Gerede beschallten. Vom Wirt war an diesem Abend an unseren Tischen nichts mehr zu sehen. Auch seine widerliche Stimme wart nicht mehr zu hören.

Ich muss sagen, das gereichte Mahl mundete sehr, auch wenn es teilweise durch den blöden Wirt versaut wurde. An diesem Abend und an den folgenden Tagen war natürlich die fehlende Gabel der running Gag bei jedem Essen. Aber was mich in der Behandlung des Wirtes bestätigte, war die allgemeine Zustimmung, beziehungsweise die Ablehnung der frauenfeindlichen Behandlung in jenem Lokal.