Woher kommt der Heiligenschein des Christkinds

Oma Lisbeth ist am 4. Advent zu Besuch bei der Familie ihrer Tochter und sitz während des Kaffeetrinkens auf der Couch. Der fünfjährige Jeremias kommt mit einem Weihnachtsbüchlein aus dem Kinderzimmer und drängt sich der Oma auf den Schoß. Als er sitzt, holt er sein Büchlein unter dem Arm hervor, schlägt es auf und deutet auf ein Bild. „Duuh, Omah,“, beginnt er ganz vorsichtig, „warum hat denn das Baby hier in der Krippe so einen komischen gelben Kreis am Kopf?“

Lisbeth lächelt milde, denkt an ihre Kindheit, die ja nun auch schon ein paar Tage her ist und erinnert sich an die Geschichte, die ihr damals ihre Oma erzählt hatte, als sie mit 39 Grad Fieber im Bett lag. Also beginnt sie:

„Das Bild zeigt das Christkind nach der Geburt in Bethlehem in einem Stall. Und weil sie nichts anderes zur Verfügung hatten, legten es Maria und Josef in eine Krippe. Nach der langen Suche nach einer Herberge und der Geburt des Kindes waren Maria und Josef fix und fertig. Die hygienischen Bedingungen waren damals ebenfalls nicht die besten und so geschah es, dass einige Fliegen den kleinen Jesus umschwirrten. Teilweise waren sie sehr lästig und der Kleine quengelte bereits. Müde hob Maria die Hand mit dem Stohfächer und verscheuchte die Quälgeister. „Verschwindet, ihr lästigen Viecher! Lasst meinen kleinen Liebling in Ruhe!“ Sie streichelte dem Kind zärtlich übers Köpfchen. Es beruhigte sich wieder und schlief ein.

Ochs Seppl und Esel Hein standen dabei und sahen, wie auch Maria erschöpft wieder einschlief. Sofort gingen die Mücken erneut zum Angriff über. Dem Esel, der früher, als er noch jung und stark war, bei der Stadtwache gearbeitet und schwere Lasten getragen hatte, tat das Kind leid. Es machte bereits wieder Anstalten, unruhig zu werden und aufzuwachen.

„Du, Seppl,“ sprach der Esel zum Ochsen und stupste ihn an, „ich schmiede gerade einen Plan, wie wir dem Kleinen helfen können.“

„Ja, Hein, du hast Recht.“, entgegnete der Ochse, „Ich habe auch schon überlegt, was wir tun könnten. Die Maria ist nämlich einer der wenigen Menschen, die, seit sie im Stall ist, uns mal tätschelte oder streichelte. Sie ist eine ganz eine liebe.“

„Jawoll, korrekt. Ich kenne diese hinterlistigen Schmarotzer und ihre penetrante Angriffslust ja schließlich aus eigener Erfahrung.“ Hein dachte angestrengt nach und wedelte mit seinen großen Ohren, um die Fliegen zu verscheuchen. „Wir haben ja unsere Abwehrwaffen, nämlich Ohren und Schwanz. Bei den Menschen sind sie ja nicht so groß, dass sie wedeln könnten. Aber wie können wir bloß die Angreifer vom Kleinen abwehren?“

„Ja, wir müssen unbedingt etwas machen,“, gab der Ochse zu bedenken, „denn wenn der Kleine aufwacht und schreit, kriegen wir in der Nacht kein Auge zu.“

Da kam dem Esel eine Idee. „Tier, Seppl! Du bist doch um einiges größer als ich. Was hältst du davon, wenn du deinen Kopf über den Trog streckst und leicht über die Krippe bläst? Das irritiert die Mistviecher und verschleiert das Angriffsziel.“

„Und er hat es dann auch noch warm.“, ergänzte der Ochse ganz stolz, auch noch einen Grund gefunden zu haben. Also erhob er sich und tat, wie besprochen. Er streckte seinen Kopf über den Futtertrog und blies vorsichtig in Richtung Krippe. Durch den Luftstrom fühlten sich die Fliegen gestört und suchten das Weite. Mittlerweile wurde es draußen langsam dunkel.

„Du kannst die Fliegerabwehr einstellen, Seppl!“, konstatierte der Esel. „Die lästigen Tiefflieger verkriechen sich in ihre Nachtquartiere.“

„Endlich Ruhe!“ Der Ochse war auch froh; denn das vorsichtige und leise Schnaufen strengten ihn doch an. Er war schließlich auch nicht mehr der Jüngste. Er zog seinen großen Kopf zurück und beide gaben sich der wohlverdienten Nachtruhe hin.

Eine Spinne hatte in der Nähe die ganze Zeit darauf gewartet, dass das große dicke Tier endlich Leine zog. Denn sie sah genau dort eine gute Möglichkeit, ihren Speiseplan zu sichern. Also begann sie, über dem Köpfchen des Neugeborenen nach einem Platz für ihr Netz zu suchen. Die beiden Ecken der Krippe und die darüberliegenden Latten des Futtertroges für Ochse und Esel boten gute Verankerungsmöglichkeiten für die Grundfäden ihres Fanggerätes. So fing sie in der Nacht noch an, ihre Fäden zu ziehen, damit in der Früh, wenn die Fliegen wieder fliegen, möglichst viele von ihnen im Netz landeten. Kurz vor Sonnenaufgang war sie fertig und legte sich auf die Lauer.

Draußen ging langsam die Sonne auf und schien durch ein Astloch in der Wand in den Stall. Der helle Fleck wanderte langsam durch den Innenraum. Das Lichtbündel fiel genau auf das Spinnennetz. Das war der Spinne gar nicht recht, denn so erkannten es die Fliegen und dadurch verringerte sich die Chance, dass eine darin hängen blieb. In diesem Augenblick erwachte Maria, die den Kleinen stillen wollte. Da erkannte sie das angestrahlte Netz und es sah aus, als schwebte eine goldene Scheibe über dem Kopf ihres Kindes. Maria war entzückt über diese mystische Begebenheit und sie ahnte, dass der Kleine etwas Besonderes war. Sie stieß Josef an. Der machte noch einen letzten Schnarcher, schmatzte kurz und öffnete dann die Augen.

„Hä, ja, was ist denn schon wieder?“, fragte er mürrisch.

„Ja, schau doch mal, was über dem Kopf von Jesus so strahlt!“ Maria deutete ganz verzückt auf die goldene Scheibe, die dort scheinbar über der Krippe schwebte.

„Was ist denn das?“ Josef erhob sich und ging neugierig zur Krippe. „Es ist nur ein Spinnennetz.“, stellte er fest. Mit einem Wisch war die Sache geklärt, zum Leidwesen der begeisterten Maria und der bereits erfolgreichen Spinne. Eine göttliche Inspiration und die spinnliche Essensration waren zerstört.

„Josef, was hast du gemacht?“ Maria schüttelte ungläubig und enttäuscht den Kopf. „Warum machst du so etwas Schönes kaputt?“

„War doch nur ein Spinnennetz!“, gab Josef verständnislos zurück. „Sowas hat beim Kleinen nichts zu suchen.“ Damit war für ihn alles geklärt.

Maria aber erzählte allen von der herrlichen Erscheinung. Und seitdem werden in Erinnerung daran nicht nur das Jesuskind, sondern alle Heiligen mit dieser goldenen Scheibe, dem Heiligenschein, dargestellt.“

Jeremias hat ganz andächtig zugehört, während er sich das Bild im Büchlein konzentriert betrachtete. Alle anderen am Tisch sind ebenfalls ganz ruhig geworden und haben gelauscht; denn keiner kannte diese Geschichte. Das Gehörte war für Jeremias plausibel. Er klappte sein Buch zu. Mit einem „Ach so!“ rutschte er von Omas Schoß, klemmte sich sein Buch unter den Arm und verschwand zufrieden wieder in seinem Kinderzimmer.