Gefahr unterm Kilt

 

Nessy und John McPherson sind nun schon einige Jahre verheiratet. Wenn sie abends manchmal vor ihrem Haus in Edinburgh bei einem Gläschen schottischen Whiskeys sitzen und ihrer Tochter zusehen, wie sie im Sandkasten spielt, denken sie gerne an ihren gemeinsamen Ausflug ins schottische Hochland vor vier Jahren zurück.

 

Kennengelernt hatten sie sich beim Studium, sie hatte sich für Geschichte, er für Geologie eingeschrieben. Sie belegten einen fächerübergreifenden Kurs, der die frühgeschichtliche Entstehung Englands und deren Bewohner beinhaltete. Ausgeschrieben waren zwei Studienarbeiten, die speziell die Verhältnisse um Loch Ness betrachten sollten. Und so entschlossen sie sich, die Recherchen für ihre Abschlussarbeiten zusammen zu legen. Beide waren sehr naturverbunden und reisten gerne mit Rucksack und Zelt durchs Land. Deshalb waren sie sich schnell einig, dass sie die nächsten Semesterferien für eine Reise in die Highlands nutzen wollten.

 

So starteten sie, jeder seinen Rucksack und das Zweimannzelt in seinem alten Ford verstaut, in Richtung schottisches Hochland. Während er sich um die geologischen Formationen kümmerte, diese fotografierte und dokumentierte, führte sie entsprechende Gespräche mit den Bewohnern. Sie hörte sich ihre langen Familiengeschichten an, ließ sich alte Bilder zeigen, als Zeitzeugen des Wandels über Generationen hinweg, fotografierte und dokumentierte. Jeder saß dann abends nach dem Dosenessen in seinem Zelt und hämmerte seine Erkenntnisse in den Laptop. Am dritten Tag zog, wie es in den Highlands üblich war, unerwartet ein schweres Gewitter auf. Innerhalb kürzester Zeit war alles im Wagen verstaut und man saß frierend auf den Vordersitzen nebeneinander. Das Sauwetter wurde durch die Frontscheibe verfolgt, während der Wind das Fahrzeug schüttelte und der Regen so dicht war, dass sie den Eindruck hatten, sie befänden sich in einer Waschstraße, wo waschen und trocknen gleichzeitig ablief.

 

Er betrachtete sie lächelnd von der Seite, wie sie so frierend dasaß, mit angezogenen Beinen, die Arme darum geschlungen, das Kinn auf den Knien aufgestützt. Sie bemerkte seinen Blick, hob ihren Kopf, drehte in seine Richtung und legte in geneigt wieder auf die Knie. So sahen sie sich eine Weile an. Dann griff er nach hinten, holte die dicke Wolldecke und wollte sie um Nessy wickeln. „Komm!“, sagte sie, „Wir gehen nach hinten, dann können wir uns zudecken und gegenseitig wärmen.“ Damit war er sofort einverstanden und für die momentane Gänsehaut war nicht nur die Temperatur verantwortlich. So verbrachten sie, eng aneinandergeschmiegt, die Nacht unter der warmen Decke.

 

Die Sonne weckte sie am nächsten Morgen, als sie ihnen direkt ins Gesicht schien. Er öffnete seine Augen und sah auf das hübsche Mädel, das er in seinen Armen hielt und die ihren Kopf auf seiner Brust abgelegt hatte. Ganz vorsichtig drückte er sie an sich und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Sie räkelte sich, hob vorsichtig die Augenlider und fuhr dann erschreckt hoch. „Guten Morgen!“ beruhigte er sie, „Nah hast du gut geschlafen?“

Sie lächelte ihn an. „Ja, sehr gut!“ Dann legte sie ihren Kopf wieder auf seine Brust und kuschelte sich ganz eng an ihn. „Nur bin ich etwas verspannt durch das krumme Liegen.“ Um etwas Linderung zu verschaffen, massierte er zart ihren Rücken. „Oh, tut das gut!“, kam von ihr, wobei sie leicht hin und her zuckte. Dann drückte sie sich, auf seine Hüfte gestützt, hoch und mit einem „Danke!“ gab sie ihm ein Küsschen.

 

Da die beiden in der Gegend aufgrund ihrer Neugier und ihrer netten Art bekannt waren, wurden sie zur Jahresfeier in den kleinen Ort eingeladen. Damit sie auch zünftig dazu passten, wurde ihnen eine ortsübliche Tracht übergeben, mit der sie am Abend in der Festscheune zu erscheinen hatten.

 

Wie üblich an solchen ländlichen Festen, wurde getanzt, sich unterhalten und nicht wenig getrunken. Mit zunehmendem Fest kamen sich die beiden immer näher. Eng umschlungen tanzten sie etliche Runden und die Küsse wurden immer heißer. Für solche Fälle hatte der Veranstalter, vermutlich aus langjähriger Erfahrung heraus, durch ein Heulager vorgesorgt. John und Nessy verschwanden kurz nach Mitternacht in einer dieser Boxen. Und beim gegenseitigen Streicheln wollte sie wissen, ob er tatsächlich original unter dem Kilt gekleidet war. Und er war. Sie konnte das Ungeheuer von Loch Ness genau fühlen.

 

Ab dem folgenden Morgen wurde abends nur noch sein Zelt aufgebaut, da es das größere der beiden war. Vermutlich hatte das auch mit Energieeinsparung zu tun, denn die beiden Schlafsäcke wurden ebenfalls zu einem vereint.

 

Der letzte Tag am Loch Ness brach an und beendete die arbeits- und schmusereichen zwei Wochen. Zurück an der Uni waren die beiden unzertrennlich und zogen, sobald es ging, zusammen. Zwei Monate später gestand sie ihm, dass die Zeit in Schottland nicht ganz ohne Folgen geblieben war. Er erschrak erst heftig, da er daran dachte, dass sie ja das Studium noch fertig machen wollten. Dann rechnete sie ihm vor, dass die Geburt erst nach den Abschlussprüfungen sein würde. Daraufhin streichelte er ihr über den Bauch, obwohl noch nichts zu sehen war und schloss sie in seine Arme.

 

Tja, und so sind sie jetzt über drei Jahre verheiratet. Er arbeitet an der Uni und sie seit zwei Jahren bei der Stadt. Und wie es aussieht, ist demnächst wieder Nachwuchs geplant, denn sie spricht in letzter Zeit verdächtig oft vom Ungeheuer vorm Loch Ness.