Noch bevor unser kleiner Sören sich angekündigt hatte, musste ja unbedingt zur Ablenkung ein Vogel samt Käfig her. Unsere Bekannte Hedi aus dem Tierheim wusste von meiner Frau, dass wir etwas in der Richtung suchten. Sie meldete sich eines Tages und wir sollten uns das gepflegte Tier mal ansehen. Also fuhren wir ins Tierheim. Hedi empfing uns freudestrahlend: „Grüßt Euch! Ihr werdet begeistert sein! Ein wunderschöner Beo wurde vorgestern hier abgegeben. Er gehörte einer älteren Dame, die wegen Demenz in ein Heim gegangen ist. Sie und ihre Kinder können sich nicht mehr um den Vogel kümmern. Kommt mit!“
Wir folgten ihr ins Büro. Dort stand der große Käfig mit dem schwarzen Vogel.
„Rocki, na pfeif mal was Schönes!“, munterte Hedi den Vogel auf. Aber der blieb stumm. „Komisch! Mir wurde gesagt, dass Rocki ein ganz munterer Kerl wäre und den ganzen Tag rumflöten würde. Vermutlich ist er noch traurig, dass er sein Frauchen verlassen musste. Naja, das wird schon wieder werden! Was haltet ihr von ihm?“
„Ein schönes Tier, das stimmt. Und wenn er nicht soviel Krach macht, dann ist es auch recht. Braucht er viel Pflege?“ Meine Frau hatte den Vogel scheinbar schon in ihr Herz geschlossen. Und als sie an den Käfig trat, flog er direkt auf sie zu und pickte das Körnchen, das sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, ganz vorsichtig aus dem Zwischenraum. Scheinbar hatten sich da zwei auf Anhieb gefunden. Um es kurz zu machen, er steht nun seitdem in unserem Wohnzimmer. Leider gibt er nur selten Töne von sich, aber sonst ist er ein gelehriger Vogel, der jeden Tag auch mal eine Runde in der Wohnung fliegen darf und auf Geheiß meiner Frau ohne Widerrede wieder im Käfig verschwindet.
Als nun bekannt war, dass wir bald zu viert sein werden, überlegte ich, ob denn ein Vogel und ein Kind das richtige Gespann sein würden, so wegen kümmern und dergleichen. Aber meine Frau zerstreute meine Bedenken ganz schnell, denn sie liebte ihren Vogel.
Sören war endlich da. Es kam ganz schön zusätzliches Leben in die Bude. Aber Rocki wurde deshalb nicht vernachlässigt. Zur besseren Kommunikation mit dem Kind wurde das obligatorische Babyphon angeschafft. Und wenn es dann einmal aus dem Lautsprecher quäkte, summte oder sang meine Frau ein kleines Kinderliedchen und beruhigte so den Kleinen wieder. Nur wenn das Stimmchen dann erhoben wurde, um den Tausch volle Windel gegen volle Brust durchzuführen, reichte die Fernberuhigung nicht mehr aus.
Eines Tages wollte meine Frau kurz zur Nachbarin, um etwas Mehl auszuborgen, da fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Voller Schrecken stellte sie fest, dass der Wohnungsschlüssel noch in der vorhin bekleckerten Hose steckte. In ihrer Verzweiflung rief sie über das Telefon der Nachbarin bei mir in der Firma an, ich soll schnellstens nach Hause kommen, der Kleine sei allein in der Wohnung. Ich ließ also alles liegen und stehen und machte mich auf den Heimweg. Es war gottseidank kurz vor Feierabend. Als ich ankam, war meine Frau völlig aufgelöst vor Sorge, da die Fütterung schon hätte erfolgt sein müssen. Ich öffnete also schnell die Tür und wir waren auf das Gebrüll unseres Sohnes gefasst. Aber nichts dergleichen war zu hören. Lediglich aus dem Babyphon im Kinderzimmer drang der beruhigende Klang eines Kinderliedes. Ich sah meine Frau an, sie konnte es nicht sein, die da sang, aber es hörte sich original so an, als ob sie sänge. Verstört gingen wir ins Wohnzimmer und lugten ganz vorsichtig um die Ecke. Da wiegte sich Rocki im Sound seiner selbst erzeugten Melodie und wechselte gerade das Lied. Als er uns bemerkte, ließ er original meine Lache erklingen. Die Nachbarin, meine Frau und ich, wir sahen uns ungläubig an und mussten dann losbrusten. Als wir uns wieder gefangen hatten, hörten wir aus dem Käfig nacheinander unsere Lacher als Echo, ebenso das Kleinkindergeschrei unseres Sohnes. Scheinbar hatte unser Vogel seine Begabung wiederentdeckt. Das konnte ja heiter werden und das wurde es auch. Wir mussten das Babyphon in die gegenüberliegende Ecke des Zimmers stellen, um festzustellen, wer da Geräusche abgab, unser Sohn oder Rocki. Manchmal neckte er uns trotzdem, aber immer wenn meine Frau dann aufsprang, kam meine Lache aus dem Rachen des Vogels und mit einem Seufzer nahm sie dann wieder Platz. Und wenn unser Kleiner dann mal wieder wirklich quengelte, übernahm Rocki kurzerhand die Beruhigungsmelodie. Und da Beos etwa 30 Jahre alt werden können, sehen wir einer melodischen Zukunft entgegen, vollgepfropft mit Wasserkesselpfeifen, Sirenen, Kindergeschrei und Liedchen, alles aus einer Kehle. Und ich weiß nicht, was unser Sohn, wenn er dann größer wird, dem Vogel noch alles beibringen wird.