Schnell wollte ich noch etwas für das Abendbrot und für das Frühstück am nächsten Morgen holen, also einen Sixpack Bier, einen Ring Fleischwurst und ein Pfund Kaffee. Draußen war es schon dunkel und das Wetter mies, so dass ich mich entschloss, die 15 km nicht mit dem Moped zu fahren.
„Geh, Günter!“, rief ich meinem älteren Bruder zu, „gib mir doch schnell mal deine Karre! In `ner halben Stunde bin ich wieder da.“
„Is´ ok.“, kam es aus der Küche zurück. „Aber schau, dass du bis 21 Uhr wieder da bist, wegen dieser Ausgangssperre.“
Ich sah auf die Uhr. Die Zeiger zeigten gerade Mal 19 Uhr 12. Der Supermarkt schloss gegen 20 Uhr. Das haut genau hin.
Im Vorbeigehen am Schuhschränkchen im Flur schnappte ich mir den Autoschlüssel. Als ich im Türrahmen der Eingangstür stand, verriet mir mein Kontrollblick, dass der Schrottkübel meines Bruders vor der Garage stand. Also im Nieselregen schnell hin, einsteigen, anlassen und los. Es lief alles soweit gut. Ich erreichte den Supermarkt kurz vor dreiviertel 20 Uhr. Der Einkauf ging flott, wenn man weiß, was man will. Fünf vor 20 Uhr war ich auch schon wieder draußen. So, die paar Kilometer heim, dann Füße hoch und die erste Pulle köpfen.
Nach etwa 5 Kilometer merkte ich so bei 80 km/h, dass die Karre beim Lenken schwammig reagierte. Ich dachte noch: „Na, das wird doch kein Platten sein!“ Um sicherzugehen, fuhr ich vorsichtshalber rechts ran, hielt an und stieg aus. Ich ging ums Auto und dann sah ich ihn, mit der Felge am Boden, vorne rechts.
Na toll, ganz toll, leer.
Mittlerweile regnete es etwas mehr, das war ja klar. Das Wetter wartete quasi schon auf mich. Eigentlich war Reifenwechsel kein Problem, alles schon gemacht, aber noch nie nachts, allein, bei Regen und mitten auf der Gasse. Die Handlampe im Kofferraum war defekt; typisch mein Bruder. Das ging ja gut los. Also nahm ich mein Handy und schaltete dessen Licht ein. Der Wagenheber war unter der Abdeckung im Kofferraum. Also Abdeckung raus, neben dem rechten Kotflügel abgestellt und Wagenheber aus seiner Halterung gefummelt. Danach ging ich mit dem Ding ans rechte Vorderrad, setzte ihn vorschriftsmäßig an, setzte die Kurbel an und drehte solange, bis der Reifen keinen Kontakt mehr zum Boden hatte. Ich zog die Kurbel ab und nutzte sie zum Lösen der Radmuttern. Nachdem alle fünf Muttern ab und in meiner Hosentasche verschwunden waren, ging ich nach hinten, um das Reserverad aus seiner Kuhle im Kofferraum zu holen.
Mittlerweile war es fast 21 Uhr und ich patschnass. Nach dem Lösen der Sicherungsschraube steckte ich mein Handy in die andere Hosentasche, hob das Reserverad über die Ladekante und ließ es auf den Boden dotzen. Der erwartete Rückprall blieb aber aus und der Reifen gab nur ein dumpfes Geräusch von sich.
Na toll, ganz toll, auch leer.
Mir reichte es. Wutentbrannt holte ich mein Handy wieder aus dem Sack und wählte die Nummer meines lieben Bruders. „Dem werd´ ich was erzählen!“
Aber wieso meldete sich der Säckel nicht? Ich nahm das Handy vom Ohr und drehte es, damit ich das Display sehen konnte. Aber das einzige, was darauf noch zu erkennen war, war das Symbol einer durchgestrichenen Batterie.
Na toll, ganz toll, auch leer.
Vielleicht hätte ich die Handylampe ausschalten sollen, bevor ich es in die Hosentasche gesteckt habe.
„Mist! Mist!“, fluchte ich laut vor mich hin, als ich erfreut in der Ferne zwei Scheinwerfer auf mich zukommen sah. Das Fahrzeug hielt ohne mein Zutun hinter meinem, bzw. dem Karren meines Bruders an. Gegen das helle Licht sah ich je eine Person links und rechts aussteigen. Klasse, dachte ich noch, die können mich ja mitnehmen und evtl. bei uns zu Hause absetzen. Aber als beide zielstrebig auf mich zukamen, ging mir dann doch etwas die Düse.
„Na, was machen Sie denn noch nach Beginn der Ausgangssperre hier auf der Straße?“, wurde ich vom Fahrer gefragt. Jetzt, als er ins Scheinwerferlicht trat, erkannte ich die Uniform. Die zweite Person hielt sich im Dunkeln. „Geben Sie mir doch mal den Führerschein und die Fahrzeugpapiere.“
„Moment, Herr Wachtmeister!“, sagte ich eifrig, griff in meine Gesäßtasche, holte meine Börse heraus und übergab das darin befindliche Stück Plastik an die Amtsperson weiter.
„Und die Fahrzeugpapiere?“, kam die strenge Frage.
„Die sind im Handschuhfach.“ Ich machte kehrt, öffnete die Fahrertür, schmiss mich auf den Sitz, beugte mich zum Handschuhfach hinüber und griff hinein.
„Na toll, ganz toll, auch leer!“
In diesem Moment sackte die blöde Karre nach rechts weg. Vermutlich war der Wagenheber auf dem feuchten Boden weggeknickt.
Langsam kroch ich wieder aus der Karre, drehte mich zum Wachtmeister um und eröffnete ihm mit Bedauern in der Stimme: „Tut mir leid, Herr Wachtmeister, das Auto gehört meinem Bruder und der hat den Fahrzeugschein scheinbar rausgenommen. Aber er kann bestätigen, dass ich rechtmäßig damit unterwegs bin. Eigentlich wäre ich schon seit einer Stunde wieder zu Hause, aber, wie Sie rechts vorne sehen können, hat mich ein Plattfuß hier festgehalten. Zusätzlich ist der Reservereifen auch platt. Heute kommt wirklich alles zusammen. Wenn einen schon Mal das Glück verlässt, kommt auch noch Pech dazu.“
„Ja, das ist wirklich bedauerlich,“, antwortet der Polizist mit einem Grinsen im Gesicht, „aber das schützt Sie nicht vor einer Anzeige.“ Zu seiner Kollegin gewandt fuhr er weiter: „Agnes, nimm mal die Daten auf!“
Die Angesprochene ging zurück zum Einsatzfahrzeug, vermutlich um den Mistanzeigeblock zu holen. Kaum hatte sie ihrem Sitz erreicht, als sie ihrem Kollegen zurief: „Hannes, komm, wir haben einen Einsatz! Unfall in der Nähe vom Bahnhof.“
„Habe verstanden! Ich komme!“ Der Wachtmeister drehte sich wieder zu mir. „Da haben Sie aber nochmal Glück gehabt, junger Mann. Leider können wir Sie auch nicht nach Hause fahren, Sie haben es ja gerade gehört. Hier ist Ihr Führerschein zurück. Viel Erfolg beim Heimmarsch!“
Dieser Kelch ging ja gerade nochmal an mir vorüber. Ich zog also mein Handy heraus und steckte es missmutig wieder ein, da ich mich an den leeren Akku erinnerte.
Was war also zu tun? Ich warf das Reserverad wieder in den Kofferraum zurück, schmiss die Schrauben dazu und den Plattfuß. Den Wagenheber konnte ich nicht bergen, da das Auto drauf lag. Ich schnappte mir den Sixpack, die Wurst und das Paket Kaffee und packte alles in die Tragetüte. Danach verschloss ich die Karre und machte mich auf den Heimweg, waren ja nur noch 10 Kilometer.
Gegen kurz vor Mitternacht erreichte ich die Haustür. Dort wurde ich schon sehnlichst erwartet.
Mit den Fragen: „Ja, sag einmal, wo bleibst du denn solange? Hast denn schon was gegessen? Wie schaust du denn überhaupt aus, völlig durchnässt?“, überfiel mich mein Bruder.
Also antwortete ich wahrheitsgemäß während ich ihm die Tragetasche übergab, in der fünf leere Flaschen klimperten: „Aalso, iech haab ein Plattn ghabt, der Reseevereifn war auch plattt, die Scheisskaare liecht auf´m Wagnhebr. Dann kaam achnuch die Polisei, weil schoon Sperrstund war. Dann hab iech mein Kram gebaggt und bin heimglaufn. Aufm Weech hab iech dann die Worscht gfressn.“ In der Hand hielt ich die letzte Flasche Bier. Hob sie hoch und betrachtete sie:
„Naa doll, gans doll, auch leer!“